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Evaluation und Begleitforschung Runder Tisch Pumpspeicherwerk Atdorf

Bild der Titelseite der Publikation: Evaluation und Begleitforschung Runder Tisch Pumpspeicherwerk Atdorf

Remer-Bollow, Uwe; Buchholz, Frank; Gabriel, O.; Ziekow, Jan; Ewen, Christoph

2013

Projektbericht - Abschlussbericht

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Beschreibung

Die vorliegende Untersuchung hat das Ziel, den im letzten Jahr durchgeführten Runden Tisch zum Pumpspeicherkraftwerk Atdorf zu bewerten und gleichzeitig Erfolgs- und Qualitätskriterien für Dialogprozesse um großtechnische Anlagen der Infrastruktur zu entwickeln.

Derartige Dialogprozesse reagieren auf tatsächliche oder antizipierte Konflikte, sie stellen Interventionen in spezifische Konfliktsysteme dar. Daher werden die Bewertungskriterien auf der Basis einer Analyse von Konflikt- und Entscheidungssystemen um großtechnische Anlagen der Infrastruktur entwickelt. Anders als zwischenmenschliche Konflikte spielen sich Konflikte um Anlagen der technischen Großinfrastruktur in einem sehr viel größeren (regionalen) Rahmen, in einem anderen Konflikt"milieu" sowie in einem sehr viel stärker rechtlich und politisch strukturierten Rahmen ab. Es kann nicht darum gehen, die Konflikte zu lösen (dies ist Aufgabe der administrativen, politischen und juristischen Institutionen), es geht darum, Lösungen zu unterstützen bzw. ein Klima zu schaffen, in dem Lösungen möglich und tragfähig sind.

Wirkungen und Erfolge von Dialogprozessen lassen sich letztlich nicht objektiv messen. Daher bedarf es indirekter Hinweise auf Wirkungen und Wirksamkeiten im beschriebenen Kontext. Die vorliegende Arbeit benennt zwei Kategorien, in denen Wirkung und Erfolg festgestellt werden kann: Eine langfristige Transformation des Konfliktes hin zu weniger destruktiven Formen der Konfliktregulierung sowie als Voraussetzung dafür eine Veränderung von Wissen und Wahrnehmung der regionalen Bevölkerung und der Akteure hin zu einer strukturierten, differenzierten und eher Ambivalenzen zulassenden Sichtweise des Konfliktgegenstandes (durchaus bei gleichbleibender Haltung pro oder contra).

Eine Befriedung durch konsensuale Verständigungen und ein Abbau der Polarisierung, wie von einzelnen Autoren im Kontext von Mediation und ähnlichen Instrumenten angestrebt, erscheinen in den meisten Fällen unrealistisch. Ein Dialogprozess um strittige großtechnische Infrastrukturanlagen ist dann erfolgreich, wenn die spätere Entscheidung, egal ob für oder gegen den Bau, in der Region verstanden und - wenn auch teils widerwillig - toleriert wird. Diesem Ziel muss auch die konkrete Ausgestaltung des Dialogprozesses dienen und in diesem Sinne ist auch die selbstgestellte Zielsetzung des Runden Tisches Atdorf zu verstehen.

Beteiligung dient in erster Linie dazu, Akzeptanz für das Verfahren der Konfliktregulierung zu schaffen, die Herstellung von Akzeptanz für das materielle Planungsergebnis ist demgegenüber von untergeordneter Bedeutung. Interessen- und Wertekonflikte lassen sich durch Beteiligungsverfahren nur selten aus der Welt schaffen.

Auf der Basis dieser Überlegungen wurden qualitative und quantitative Erhebungen zum Runden Tisch Atdorf durchgeführt sowie Erfahrungen ausgewählter Referenzprozesse ausgewertet. Im Ergebnis zeigt sich ein differenziertes Bild, das es nicht erlaubt, den Runden Tisch Atdorf eindeutig als Erfolg oder eindeutig als Misserfolg zu charakterisieren: Die selbst gesteckten Ziele des Runden Tisches wurden weitgehend erreicht: Es fand eine intensive Diskussion über die bedeutsamen Aspekte des geplanten Pumpspeicherwerkes - auch unter Berücksichtigung der Frage nach der grundsätzlichen Notwendigkeit - statt, es wurde Transparenz über die Entscheidungsgrundlagen hergestellt, es fand ein Kompetenzzuwachs bei Dialogpartnern statt und die Diskussion wurde versachlicht. Ob sich die Wissens- und Informationsgrundlagen so verbessert haben, dass weitere Entscheidungsprozesse davon profitieren, lässt sich noch nicht feststellen. Es gibt für einzelne Fragen Lösungs- und Kompromissvorschläge, auch wenn diese nicht abschließend im Konsens verabschiedet wurden.

Trotzdem überwiegt bei Teilnehmenden und Zuschauern Unzufriedenheit. Dass der Runde Tisch erst nach dem Raumordnungsverfahren begann und daher bestimmte Festlegungen (Standort) schon getroffen waren, kann man zwar in Zukunft besser, dem Runden Tisch aber nicht zum Vorwurf machen. Der wichtigste Grund für die Unzufriedenheit vor allem der Gegner liegt darin, dass es trotz der bescheidener formulierten Zielsetzung zu Beginn hohe Erwartungen in Richtung Kompromiss und Verbindlichkeit gab, die dann enttäuscht wurden. Während die Gruppe vereinbarte, es gehe auch um das "Ob" (im Sinne von: es wird auch über das "Ob" gesprochen), erwarteten insbesondere die Vorhabengegner, dass auch über das "Ob" (und auch über das "Wo" und das "Wie groß") verhandelt werde - im Sinne von Kompromissfindung und verbindlicher Aushandlung.

Aus der Sicht der begleitenden Evaluation ist die Zufriedenheit der Teilnehmenden jedoch ein Bewertungskriterium mit geringerer Relevanz. Von zentraler Bedeutung ist hingegen die Frage, ob es dem Dialogprozess gelingt, Veränderungsprozesse in Haltungen und Bewertungen der regionalen Öffentlichkeit und der Politik anzustoßen. Der Blick auf Referenzverfahren zeigt, dass sich langfristig sehr wohl Wirkungen einstellen können, wenn es dem Dialogprozess gelingt, der regionalen Öffentlichkeit und auch den entscheidungsrelevanten Akteuren einen fairen und sachorientierten Umgang miteinander vorzuleben und im Ergebnis die Debatte zu rationalisieren und zu strukturieren. Dazu gehört, dass im Dialogprozess die relevanten Themen ausgewogen, sachverständig, verständlich und effizient diskutiert und fokussiert werden. Ob man Themen von zentraler Relevanz nur auffächert oder ob es gelingt, übergreifende Sichtweisen (nicht notwendig Konsense) zu entwickeln und zu kommunizieren, ist ein erfolgskritischer Faktor. Für letzteres hätte man in Atdorf mehr als die zur Verfügung stehende Zeit und/oder ein weitergehendes Rollenverständnis der Moderation in Richtung "joint fact finding" gebraucht. Dass dies nur partiell gelungen ist, ist ein Grund für die Unzufriedenheit der Vorhabensgegner.

Dies zu verwirklichen ist umso schwieriger, je weiter man im Prozess fortgeschritten ist, je geringer die Freiheitsgrade sind und je größer damit das Konfliktpotenzial ist. Dass es aber selbst noch nach Baubeginn möglich und hilfreich ist, die Argumente transparent, fair, verständlich und effizient zu diskutieren, zeigt die Schlichtung zu Stuttgart 21, die vermutlich in relevantem Ausmaß dazu beigetragen hat, dass das Ergebnis der Volksabstimmung selbst bei vielen Kritikern toleriert wurde. Bezieht man die Praxis des Dialogprozesses und seines Managements auf diese zu erreichenden Ziele, so zeigt sich, dass zusätzlich zu einer klaren "Aufhängung" (Rollenklarheit, Klarheit der Zielsetzung des Prozesses) und einem professionellen Management (Allparteilichkeit der Moderation, einem Beteiligungsangebot für alle relevanten Gruppen, Thematisierung und Strukturierung der relevanten [Fach]Frage) vor allem die gelungene Einbettung des Dialogs in den administrativpolitischen Entscheidungskontext (bezüglich der Zeitpläne, bezüglich der Behandlung von Fachfragen, bezüglich des Einbezugs von Politik und Verwaltung in den Prozess) sowie der Aufbau einer eigenständigen Position in der regionalen Öffentlichkeit (zwischen Gegnern und Befürwortern) mit einer anschlussfähigen Deutung des Konflikts, des Vorhabens und seiner Wirkungen sowie möglicher Konfliktregulierungen von Bedeutung sind.

Aus der gewonnenen Erfahrung ergeben sich ingesamt 13 Hinweise für zukünftige Dialogprozesse um strittige Anlagen der großtechnischen Infrastruktur (Siehe Kapitel 7).