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Modellgestützte Optimierung des Einsatzes finanzieller Mittel zur Verbesserung des Sauerstoffhaushalts im Neckar

Bild der Titelseite der Publikation: Modellgestützte Optimierung des Einsatzes finanzieller Mittel zur Verbesserung des Sauerstoffhaushalts im Neckar

Westrich, Bernd

2002

Projektbericht - Abschlussbericht

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Beschreibung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Sauerstoffhaushalt der Bundeswasserstraße Neckar. Der staugeregelte Neckar kann hierbei als Modell für andere, relativ tiefe stauregulierte Flüsse gelten. Insbesondere der erste Abschnitt der Bundeswasserstraße zwischen Deizisau und der Enzmündung bei Besigheim ist beispielhaft für andere Wasserstraßen mit geringen mittleren Abflüssen, wie Fulda oder Saar, in denen Probleme mit dem Sauerstoffhaushalt besonders häufig sind. Da der Sauerstoffgehalt durch zahlreiche Prozesse direkt oder indirekt beeinflusst wird, schließt der Sauerstoffhaushalt andere Wasserinhaltsstoffe wie Zehrstoffe, Nährstoffe, Algen und zum Teil Organismen höherer trophischer Stufen mit ein, wodurch eine umfassendere Betrachtung des Stoffhaushalts notwendig wird. Die wesentlichen Ziele der vorliegenden Arbeit lassen sich wie folgt zusammenfassen: (1) Der Stoffhaushalt des Neckars sollte auf Grundlage der vorliegenden Monitoringdaten in seiner historischen Entwicklung und hinsichtlich seines aktuellen Zustandes analysiert werden. (2) Für den Sauerstoffhaushalt relevante Aspekte des Stoffübergangs an den Grenzflächen Sediment-Wasser und Atmosphäre-Wasser, sollten mit Hilfe experimenteller Prozessstudien näher beleuchtet werden, da für diese nur unzureichende quantitative Erkenntnisse vorlagen. (3) Auf Grundlage der aus (1) und (2) gewonnenen Erkenntnisse sollte ein adäquates, verfügbares Simulationsmodell ausgewählt werden und/oder gegebenenfalls ein neues Modell entwickelt werden, um den Sauerstoffhaushalt zu simulieren, das Stoffhaushaltssystem quantitativ zu analysieren und Prognosen für Bewirtschaftungsszenarien zu treffen.

Nach einer Einführung in die Problemstellung und Zielsetzung werden hierfür zunächst die Grundlagen des Stoffhaushalts gestauter Flüsse dargestellt. Hierbei liegt der Schwerpunkt auf den gewässerinternen Umsätzen und somit auf biologischen Prozessen, da deren Verständnis im Bereich der Ingenieurswissenschaften nicht unbedingt vorausgesetzt werden kann. Auf die theoretischen Grundlagen der Austauschprozesse an den Grenzflächen wird hingegen erst in den entsprechenden Kapiteln zu den Prozessstudien detailliert eingegangen. Im nachfolgenden Kapitel 3 wird das Untersuchungsgebiet hinsichtlich seiner für die vorliegende Studie relevanten Eigenschaften charakterisiert. Die historische Entwicklung des Sauerstoffhaushalts wird mit Hilfe von Zeitreihenanalysen der Monitoringdaten in Kapitel 4 untersucht. Hierbei wird deutlich, dass sich im vorliegenden Fall robuste, nicht parametrische Verfahren zumeist besser zur Quantifizierung zeitlicher Trends eignen, als die herkömmlichen Regressionsverfahren. Mit Hilfe der statistischen Analysen kann ein signifikanter Anstieg der mittleren Sauerstoffkonzentrationen zwischen 1975 und 1998 detektiert werden. Die mittlerern Konzentrationserhöhungen waren im Zeitraum von 1975 bis 1986 wesentlich ausgeprägter als zwischen 1987 und 1998. Die jährlichen Minimalkonzentrationen des Sauerstoffs stiegen bis Ende der 1980er Jahre ebenfalls kontinuierlich an. Seit dieser Zeit liegen für die Jahresminima, bei starken Schwankungen von Jahr zu Jahr, keine signifikant positiven Trends mehr vor. Der Anstieg der mittleren Sauerstoffkonzentrationen wurde von einem signifikanten Rückgang der BSB-, Ammonium-, Nitrat- und Orthophosphatgehalte begleitet. Für Chl-a kann für die bis 1984 zurückreichenden Messreihen kein signifikanter Trend ermittelt werden. Die vor allem bis Ende der 1980er Jahre sehr deutliche Verbesserung des Sauerstoffhaushalts kann eindeutig auf die Reduktion der Zehrstoffemissionen (BSB und Ammonium) zurückgeführt werden. Dies unterstreicht den Erfolg der im Bereich des emissionsseitigen Gewässerschutzes getätigten Investitionen. Eine signifikante Reduktion des Algenwachstums kann jedoch trotz rückläufiger Nährstoffemissionen bislang nicht festgestellt werden. Die in Kapitel 5 dargestellte empirische Analyse des aktuellen Zustands des Stoffhaushalts in der Bundeswasserstraße Neckar untermauert, dass der Sauerstoffhaushalt über weite Zeiträume stabil ist. Allerdings können während sommerlicher Niedrigwasserphasen sowohl extreme Sauerstoffübersättigungen als auch kurzzeitige Sauerstoffdepressionen bis auf 3 mg/L auftreten. Mit Hilfe explorativer statistischer Methoden kann gezeigt werden, dass die Extremwerte des Sauerstoffgehalts eng mit der zeitlichen Dynamik der Algen verknüpft sind: Der Aufbau von Algenblüten mit Chl-a Konzentrationen über 100 µg/L kann hohe Übersättigungen und ausgeprägte Tag-Nacht-Schwankungen bedingen. Beim Zusammenbruch dieser Algenblüten kann das frei werdende, gewässerintern aufgebaute Zehrungspotenzial zu ausgeprägten Sauerstoffdepressionen führen. Diese Prozesse sind wohl auch für die in Kapitel 4 detektierte Stagnation der Jahresminima der Sauerstoffgehalte verantwortlich. Als wichtigstes Hindernis für eine weitergehende, nachhaltige Stabilisierung des Sauerstoffhaushalts im Neckar, ist somit der eutrophe Zustand des Gewässers anzusehen. In Kapitel 6 wird der Gasaustausch zwischen Wasser und Atmosphäre und insbesondere der Sauerstoffübergang näher beleuchtet. Zentraler Bestandteil dieser Analyse sind die Ergebnisse eines Gastracerexperiments, das bei Niedrig- bis Mittelwasser im Neckar zwischen Deizisau und Ludwigsburg-Poppenweiler durchgeführt wurde. Auf der Fließstrecke zwischen Obertürkheim und Poppenweiler wurden insgesamt 15 gebräuchliche Formeln hinsichtlich ihrer Eignung zur Vorhersage der Sauerstoffwiederbelüftung getestet. Hierbei erwiesen sich die von Wolf (1974) und die von O’Connor und Dobbins (1958) vorgeschlagenen Vorhersageformeln als am besten geeignet. Mit einem konstanten Stoffübergangskoeffizienten, der für Sauerstoff bei 20°C 0,9 m/d beträgt, können ähnlich gute Übereinstimmungen erzielt werden. Dies zeigt, dass die für den Gasaustausch maßgeblichen Faktoren im Neckar bei den untersuchten Niedrig- bis Mittelwasserbedingungen weder räumlich noch zeitlich stark variieren. Die Eignung von Wehrbelüftungsformeln wurde unter Verwendung von Literaturdaten überprüft. Hierbei erwies sich die von Avery und Novak (1978) vorgeschlagene Formel als am besten geeignet, um den Sauerstoffeintrag bei freien Überfällen zu prognostizieren. Diese Formel – wie auch alle anderen in der Literatur genannten Formeln – berücksichtigt die infolge des auf die eingetauchten Luftblasen wirkenden Drucks erhöhte Löslichkeit von Gasen jedoch nicht. Somit ist sie nicht geeignet, mögliche Übersättigungen im Unterwasser vorherzusagen. Aus diesem Grund wurde ein mechanistisches Modell abgeleitet, bei dem der Gasübergang an den eingetauchten Luftblasen explizit simuliert wird, wodurch auch der Überdruck berücksichtigt werden kann. Mit Hilfe des Modells kann gezeigt werden, dass der hydrostatische Druck infolge des Eintauchens den Stoffübergang von Atmosphärengasen wie Sauerstoff merklich erhöht. Das mechanistische Modell wurde auf die Ergebnisse des Gastracerexperiments am Wehr Esslingen angewandt. Der Ansatz scheint geeignet zukünftig eine allgemeingültige Formel für den Gasübergang an Wehren abzuleiten, die die Wirkung des hydrostatischen Drucks auf die untergetauchten Luftblasen berücksichtigt und somit auch Übersättigungen prognostizieren kann. Kapitel 7 befasst sich mit dem Übergang von Sauerstoff und gelösten Nährstoffen an der Grenzfläche zwischen Wasser und Sediment. Auf Grundlage theoretischer Überlegungen, die die maßgeblichen frühdiagenetischen Prozesse, den Transport im Porenraum und die diffusive wasserseitige Grenzschicht berücksichtigen, wird gefolgert, dass bei typischen Neckarsedimenten der Sauerstoffverbrauch primär durch den Anteil abbaubarer organischer Substanz und den Einfluss der Bioturbation gesteuert wird. Mit Hilfe von Laborexperimenten kann untermauert werden, dass der Einfluss der wasserseitigen diffusiven Grenzschicht von untergeordneter Bedeutung für den Sauerstoffverlust an die Sedimente ist. Die Auswertung der mit einem in situ-Gerät durchgeführten Feldmessungen wird durch ein in AQUASIM entwickeltes numerisches Simulationsmodell unterstützt. In diesem Modell werden die maßgeblichen frühdiagenetischen Prozesse und der durch Bioturbation beeinflusste diffusive Stofftransport im Porenraum der Sedimente nachgebildet. Die Simulationsergebnisse zeigen, dass die Massenstromdichten über die Grenzfläche aus der Konzentrationsveränderung der Stoffe im Freiwasser des in situ-Geräts ermittelt werden können. In Verbindung mit den Messergebnissen wird zudem aufgezeigt, dass die mit in situ-Methoden ermittelte Sauerstoffzehrung des Sediments insbesondere durch die erzwungene Sedimentation leicht abbaubarer organischer Substanz deutlich überschätzt werden kann. Für die untersuchten Neckarsedimente werden bei 20°C repräsentative Sauerstoffzehrungsraten von 0,7 g/m2/d für sandiges Material und bis zu 1,6 g/m2/d für schluffiges Material ermittelt. Im Einklang mit den Simulationsergebnissen nimmt die Sauerstoffverlustrate dabei in etwa mit der Quadratwurzel des BSB der untersuchten Sedimente zu. Darüber hinaus stellen die Sedimente durch die in ihnen stattfindenden Denitrifikationsprozesse ein Senke für Nitrat dar. Ammonium (und offenbar auch CO2) werden hingegen infolge der Mineralisierung organischer Substanz freigesetzt. Überraschender Weise haben alle untersuchten Sedimente eine Senkenwirkung für Phosphat, was durch die Ausbildung einer oberflächennahen Oxidschicht mit einer hohen Dichte an Adsorptionsplätzen für Phosphat erklärt werden kann. Alle Befunde zu den Stoffflüssen können in einer konzeptionellen Modellvorstellung zusammengeführt werden. Primäre Zielsetzung von Kapitel 8 ist die Auswahl, Bereitstellung, Anpassung und bewertende Überprüfung von numerischen Modellen zur Simulation des Sauerstoffhaushalts im Neckar. Hierzu wird zunächst ein Überblick über die zur Zeit verfügbaren Simulationsmodelle gegeben. Auf der Basis dieser Übersicht und der Erkenntnisse aus den empirischen Analysen werden grundsätzlich geeignete Modelle ausgewählt: (1) Ein Basismodell (BWQM), das einerseits die aus den empirischen Befunden abgeleiteten Mindestanforderungen an ein adäquates Simulationsmodell erfüllt, andererseits jedoch nur auf verfügbaren Eingangsdaten basiert. (2) Ein erweitertes Modell (EWQM), das auf dem Basismodell aufbaut und erkennbare Unzulänglichkeiten des BWQM beseitigt. Für das erweiterte Modell müssen jedoch Rand- und Anfangsbedingungen mancher Zielgrößen abgeschätzt werden. (3) Das Gewässergütemodell des ATV-DVWK (ATV-FGSM) als „state of the art" Modell, in dem ein Großteil des aktuellen Expertenwissens bezüglich der Simulation des Sauerstoffhaushalts zusammengefasst ist. Auch bei der Anwendung des ATV-FGSM müssen Rand- und Anfangsbedingungen zum Teil abgeschätzt werden. Die Simulationen beschränken sich grundsätzlich auf den Bereich des mittleren Neckars, zwischen dem Beginn der Bundeswasserstraße und der Mündung der Enz bei Besigheim. Zur Überprüfung der Modelle werden jeweils die Monate April bis einschließlich Oktober der Jahre 1996, 1997 und 1998 herangezogen. Das Basismodell wurde unter Verwendung von AQUASIM als Programmierplattform verwirklicht. Das entwickelte Stoffhaushaltsmodell lehnt sich in wesentlichen Zügen an die Prozessformulierungen von QUAL2E an. Allerdings wurden auf Grundlage der empirischen und experimentellen Erkenntnisse einige zusätzliche Prozesse mit aufgenommen oder Prozessformulierungen realitätsnäher gestaltet. Die 25 Parameter des Stoffhaushaltsmodells im BWQM wurden einer linearen Sensitivitätsanalyse unterzogen. Hieraus wird deutlich, dass die Sauerstoffkonzentrationen am sensitivsten auf jene Parameter reagieren, die eng mit der Dynamik des Phytoplanktons verknüpft sind. Auf Grundlage der Sensitivitätsanalyse wurde die Identifizierbarkeit der Parameterwerte quantifiziert. Demnach sind lediglich vier der fünf sensitivsten Parameter durch eine inverse Kalibrierung anhand von Messdaten kalibrierbar. Die vier gleichzeitig identifizierbaren Parameter wurden anhand von Sauerstoff und Chlorophyll-a Messwerten eines dreimonatigen Zeitraums kalibriert. Mit dem so kalibrierten Modell können der Sauerstoff und Chlorophyll Gehalt sowie der BSB und die Nährstoffkonzentrationen sowohl im Kalibrierungs- als auch im achtzehnmonatigen Validierungszeitraum gut nachgebildet werden. Mäßige systematische Fehleinschätzungen ergeben sich nur dahingehend, dass die Chlorophyllkonzentrationen nach dem Zusammenbruch von Algenblüten in der Natur rascher zurückgehen als in der Simulation und an unterstromigen Messstationen die Chlorophyll und Sauerstoffgehalte im Spätsommer tendenziell überschätzt werden. Diesen systematischen Fehleinschätzungen des BWQM wird im erweiterten Modellansatz Rechnung getragen, indem hier zusätzlich die Primärkonsumenten in Form von herbivorem Zooplankton und benthischen Filtrierern (Dreikantmuscheln) explizit mit simuliert werden. Eine strikte Kalibrierung des EWQM schloss sich dadurch aus, dass für die zusätzlichen Zielgrößen keine Messdaten für Rand- und Anfangsbedingungen vorliegen. Daher wurden die Parameterwerte soweit als möglich aus experimentellen Befunden in der Literatur abgeleitet und lediglich eine händische Anpassung weniger sehr sensitiver Parameter vorgenommen. Das so angepasste EWQM beschreibt die Messdaten ähnlich gut wie das BWQM. Die systematische Überschätzung der Chlorophyllgehalte im Spätsommer konnte unterbunden werden. Der Zusammenbruch von Algenblüten erfolgt jedoch auch hier in der Simulation nicht so rasch wie in der Natur. Bei der Anwendung des ATV-FGSM wird auf Grundlage der Erfahrungen mit den selbst entwickelten Modellen die Bausteinkombination „Algen-Gesamt + Konsumenten I" gewählt. Somit werden neben der Primärbelastung zwei Algenklassen, Kieselalgen und Grünalgen sowie pelagische und benthische Primärkonsumenten simuliert. Im Zuge der schrittweisen Implementierung und Anpassung des Modells konnten Unzulänglichkeiten in manchen Funktionalitäten aufgedeckt werden. Die Modellentwickler wurden hierauf aufmerksam gemacht, so dass diese Unzulänglichkeiten in zukünftigen Modellversionen beseitigt werden können. Bei der Modellanpassung wurden einige der vorgegebenen Parameterwerte für Kieselalgen und herbivores Zooplankton auf Grundlage von Systemkenntnis und Messwerten angepasst. Für die Simulation der Bodenfauna wurden zum Teil erhebliche Änderungen der Parameterwerte vorgenommen, um das Modell an die in der Literatur verfügbaren Daten für die Dreikantmuschel als Leitorganismus anzupassen. Die Simulationsergebnisse des ATV-FGSM stimmen ähnlich gut mit den Messdaten überein wie die mit BWQM und EWQM erzielten Ergebnisse. Insgesamt scheint keines der drei verwendeten Modelle den anderen grundsätzlich überlegen zu sein. Für die modellgestützte Systemanalyse und prognostische Szenarien erscheint es prinzipiell sinnvoll parallele Simulationen mit mehreren Modellen durchzuführen, um die Vertrauenswürdigkeit der Ergebnisse zu erhöhen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Anwendbarkeit der Modelle von der konkreten Problemstellung abhängt. Insbesondere Prognosen zu den Auswirkungen möglicher Nährstofflimitierungen sind bei allen Modellen mit großen Unsicherheiten behaftet, da die Halbsättigungskonzentrationen nur mit unzureichender Genauigkeit bekannt sind. Die in Kapitel 8 entwickelten und überprüften Modelle werden im neunten Kapitel zur modellgestützten Systemanalyse eingesetzt. Es kann gezeigt werden, dass in dem untersuchten Abschnitt oberhalb der Enzmündung in den Jahren 1996 bis 1998 Wärmeeinleitungen nur marginale Auswirkungen auf den Sauerstoffhaushalt hatten. Als maßgebliche Steuergröße für die Sauerstoffdynamik wird im Einklang mit den empirischen Analysen die Dynamik des Phytoplanktons identifiziert. Zu Instabilitäten des Sauerstoffhaushalts kommt es offenkundig vor allem im Zuge von Algenblüten, wenn die Umsatzraten des Sauerstoffs nahezu ausschließlich durch Photosynthese und Algenverluste bestimmt werden. Während Zeiten mit geringen Algenkonzentrationen haben hingegen mehrere Prozesse etwa gleichen Anteil am gesamten Sauerstoffumsatz, weshalb der Sauerstoffhaushalt zu diesen Zeiten wesentlich stabiler ist. Die Systemanalyse verdeutlicht zudem, dass die Primärproduktion und die resultierende Sekundärbelastung im Wesentlichen den Zeitpunkt und die Amplitude extremer Schwankungen der Sauerstoffkonzentration bestimmen, während die Primärbelastung mit dafür verantwortlich ist, auf welchem Niveau diese Schwankungen stattfinden. Dabei spielen die direkten Kläranlageneinleitungen auf der untersuchten Modellstrecke – inklusive des Hauptklärwerks Stuttgart-Mühlhausen – offenkundig nur eine geringe Rolle für die Absenkung der Sauerstoffkonzentration. Im Mittel bedingen diese Einleitungen, dass die Sauerstoffgehalte auf der Modellstrecke um etwa 0,3 mg/L abgesenkt werden. Hinsichtlich der Steuerung der für die Sauerstoffgehalte maßgeblichen Algendynamik wird deutlich, dass das herbivore Zooplankton allenfalls in der Folge extremer Algenblüten größere Bedeutung erlangt. Für die beobachteten und mit den Modellen erfolgreich simulierten Zusammenbrüche von Algenblüten waren neben dem Zooplankton vor allem abiotische Faktoren wie die Wassertemperatur und das Lichtangebot verantwortlich. Die Simulationsergebnisse weisen darauf hin, dass benthische Filtrierer (vor allem Dreikantmuscheln) erheblichen Anteil an den Algenverlusten im Spätsommer erlangen können. Der durch sie ausgeübte Fraßdruck ist offenbar so groß, dass die Entwicklung ausgeprägter Algenblüten in der zweiten Hälfte des Sommers weitgehend unterbunden wird. Damit trägt die benthische Fauna zumindest im Spätsommer merklich zur Stabilisierung des Sauerstoffhaushalts bei. Die modellgestützte Systemanalyse verdeutlicht zudem, dass die von Oberstrom in das Modellgebiet eingetragene Algenmasse erheblichen Anteil an der Sekundärbelastung erlangen kann. Um die negativen Auswirkungen der Eutrophierung erfolgreich zu bekämpfen, müssen die Maßnahmen folglich auf jeden Fall bereits oberhalb der Bundeswasserstraße ansetzen. Mit Hilfe des BWQM wird zudem die flussinterne Retention von Stickstoff und Phosphor während der simulierten Sommermonate quantifiziert. Zu den eingetragenen Gesamtmassen von Stickstoff trägt der Neckar knapp 70% bei, während das Hauptklärwerk Stuttgart-Mühlhausen und die Nebenflüsse Rems und Murr jeweils etwa 10% beitragen. Bei Phosphor entfallen nur etwa 60% auf den Neckar, ca. 10% auf das Hauptklärwerk Stuttgart, 13% auf die Murr und 16% auf die Rems. Hinsichtlich der Quantifizierung der Retentionsleistung ist zu beachten, dass die erosive Freisetzung der Nährstoffe, die vor allem in den hochwasserreichen Wintermonaten auftritt, nicht berücksichtigt wurde. Während der Sommermonate werden auf der Fließstrecke sowohl Stickstoff als auch Phosphor zurückgehalten. Bei Stickstoff liegt der zurückgehaltene Anteil zwischen 6% und 11% der eingetragenen Gesamtmasse, wobei die Denitrifikation am Gewässerbett der wichtigste Verlustpfad ist. Bei Phosphor liegt der mit dem BWQM ermittelte Retentionsanteil zwischen 8% und 13% an der eingetragenen Gesamtmasse. Die Verluste teilen sich zu etwa gleichen Teilen in die Sedimentation toter organischer Substanz, die Sedimentation von Algenbiomasse und die Adsorption von Phosphat am Gewässerbett auf. Im zehnten Kapitel werden vor allem mit Hilfe von Simulationsszenarien die Potenziale für eine nachhaltige Stabilisierung des Sauerstoffhaushalts und die Stützung der Sauerstoffkonzentrationen durch Belüftungsmaßnahmen analysiert. Als Zielwert für die Sauerstoffkonzentration, der zum Schutz der aquatischen Lebensgemeinschaft auch kurzzeitig nicht unterschritten werden sollte, werden 3,5 mg/L veranschlagt. Auf Grundlage der in den vorangegangen Kapiteln gewonnenen Erkenntnisse beschränkt sich die modellgestützte prognostische Analyse auf kurzfristige Sauerstoffdepressionen. Alle Analysen beruhen auf zahlreichen Varianten zweier grundlegender Szenarien, die mit Hilfe des BWQM simuliert werden. Beide Szenarien bilden den Zusammenbruch von „Algenblüten" ab. Eines der Szenarien spiegelt dabei realitätsnahe Verhältnisse wider, wie sie im Neckar in ähnlicher Weise in den Sommern 1997 und 1998 vorzufinden waren. Das zweite Szenario basiert hingegen auf extremeren Annahmen und kann als „worst case" Szenario verstanden werden. Als mögliche nachhaltige Verbesserungsoption wird zunächst die Wirkung einer Nährstofflimitierung über das pflanzenverfügbare Phosphor untersucht. Aus den Ergebnissen ist zu folgern, dass die Nährstofflimitierung prinzipiell eine effiziente Möglichkeit zur Stabilisierung des Sauerstoffhaushalts darstellt, sofern sie über den gesamten Flusslauf wirkt. Allerdings ist eine exakte Prognose eines Phosphorzielwertes mit dessen Erreichen sich positive Effekte einstellen nicht möglich, da die Festlegung von Phosphorhalbsättigungskonstanten äußerst problematisch ist. Im Zuge der Szenarienrechnungen zur möglichen Nährstofflimitierung konnte der maximal zulässige Chlorophyll Gehalt in der Modellstrecke auf etwa 50 µg/L festgesetzt werden. Bei höheren Algengehalten besteht prinzipiell die Gefahr, dass es bei ungünstigen Rahmenbedingungen beim Zusammenbruch der Algenblüte zu kritischen Sauerstoffdepressionen kommt. Mit einer weiteren Reduktion der Zehrstoffemissionen im Bereich der Modellstrecke können nur mäßige Verbesserungen im Falle von Sauerstoffdepressionen erzielt werden. Auf der anderen Seite wäre bei einer Verschlechterung der Reinigungsleistungen damit zu rechnen, dass im Zuge des Zusammenbruchs von Algenblüten unterhalb von Stuttgart wesentlich tiefere Sauerstoffminima auftreten. Dies unterstreicht die enorme Bedeutung des aktuell sehr hohen Zehrstoffrückhalts in den Klärwerken. Für eine langfristig nachhaltige Stabilisierung des Sauerstoffhaushalts empfiehlt sich eine weitere Reduktion sowohl der Zehr- als vor allem auch der Nährstoffemissionen. In weiteren Szenarien konnte gezeigt werden, dass Änderungen der Stauziele im Bereich der Modellstrecke durchaus nachweisbare Folgen für die zu erwartenden Sauerstoffminima hätten. Die in Hinblick auf den Sauerstoffhaushalt positiv zu bewertende Absenkung der Stauziele widerspricht den Zielen der Schiffbarkeit. Allerdings stellt der Verzicht auf weitere Stauerhöhungen eine Möglichkeit dar, den Sauerstoffhaushalt nicht zusätzlich zu belasten. Mit Blick auf die kurzzeitige Stützung des Sauerstoffgehalts während Depressionsphasen werden die Turbinen- und die Wehrbelüftung näher untersucht. Jedes Verfahren für sich oder beide in Kombination bergen ausreichend Sauerstoffeintragspotenziale, um Konzentrationsminima auf ökologisch verträgliche Sauerstoffgehalte aufzustocken. Stehen, wie an den Wehren Cannstatt, Hofen und Poppenweiler, beide Verfahren zur Verfügung, so stellt die Turbinenbelüftung die ökonomischere Variante dar. Legt man das realitätsnahe erste Szenario zugrunde, so können mit der im neuen Sauerstoffreglement Neckar vorgesehenen stützenden Turbinenbelüftung in Hofen und Poppenweiler ökologisch unverträgliche Sauerstoffgehalte im Bereich der Modellstrecke weitgehend vermieden werden. Bei dem „worst case" Szenario wären hingegen zusätzliche Belüftungsmaßnahmen unabdingbar, um den Sauerstoffgehalt im gesamten Modellbereich über 3,5 mg/L zu halten. Infolge der bei Niedrigwasser relativ langen Fließzeiten zwischen den potenziellen Belüftungspunkten, stellt das Timing des Beginns der Belüftungsmaßnahmen ein bislang nicht zufriedenstellend gelöstes Problem dar. Dieses Problem könnte zukünftig mit Hilfe eines Echtzeit Vorhersagemodells für den Sauerstoffhaushalt gelöst werden.