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Elektronische Wildwechselwarnanlage B292 bei Aglasterhausen

Bild der Titelseite der Publikation: Elektronische Wildwechselwarnanlage B292 bei Aglasterhausen

Burghardt, M.; Suchant, Rudi; Haas, F.; Strein, Martin

2008

Projektbericht - Abschlussbericht

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Beschreibung

Einleitung:Die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) hat von 2003 bis 2005 maßgeblich an der Konzeption und Umsetzung eines elektronischen Wildwarnsystems als Pilotanlage in Baden-Württemberg mitgewirkt. Wildunfallpräventionsmaßnahmen sind an einem Abschnitt der Bundesstraße 292 bei Aglasterhausen nach einem dreispurigen Ausbau Ende der 1990er Jahre und einer anschließenden Verdopplung der Wildunfallzahlen auf durchschnittlich 25 Tiere pro Jahr erforderlich geworden. Aus Untersuchungen der FVA war bekannt, dass der entsprechende Streckenteil der B 292 im Bereich eines bedeutenden Fernwechsels (Wanderachse) für Wildtiere liegt. Nach Realisierung der Pilotanlage wurde die FVA vom Innenministerium Baden-Württemberg (Abt. Straßenwesen) mit einer 2-jährigen Monitoring-Studie beauftragt.

Beschreibung: Der betreffende Straßenabschnitt ist auf einer Länge von 3,5km mit einem Wildschutzzaun versehen worden, in den zwei 60m lange Lücken mit jeweils einer autarken elektronischen Wildwarnanlage integriert wurden. Dort erfassen Infrarotsensoren Wildtiere, die sich während der Dämmerung und Nacht den Wechselbereichen an der Bundesstraße nähern. Dadurch erfolgt die Auslösung der Wildwarnanlage. Für die Dauer von zwei Minuten warnen blinkende Lichtsignaltafeln die Verkehrsteilnehmer. Gleichzeitig erfolgt eine gestaffelte Geschwindigkeits¬reduzierung für den betreffenden Straßenabschnitt auf 70 bzw. 50km/h. Die Anlage ist von der Firma CALSTROM/CH entwickelt und installiert worden.

Bilanz: Nach zwei Betriebsjahren vom 1. Juli 2006 bis zum 30. Juni 2008 kann eine positive Bilanz gezogen werden. Die Wildunfallzahlen konnten im Durchschnitt um 75% reduziert werden. Das entspricht einer Vermeidung von Sachschäden in Höhe von etwa 110.000?. Personen sind in diesem Zeitraum nicht zu Schaden gekommen. Technische Probleme oder Mängel sind an den elektronischen Wildwarnanlagen während der Untersuchung nicht aufgetreten. Eines der wichtigsten Teilziele wurde erreicht: Wildtiere können trotz des Verkehrsbetriebs weiterhin die Straße queren, so dass die ökologischen Funktionsbeziehungen über die Straße hinweg aufrechterhalten bleiben. Die Wildverluste bleiben dabei relativ gering. In zwei Jahren entfallen auf insgesamt 5036 Querungen (Einzeltiere oder Gruppen) 13 Wildunfälle. Im Durchschnitt kommt so ein Wildunfall auf 387 Querungen.

Potenzial: Das bisherige Ergebnis ist noch nicht vollständig zufrieden stellend, da das Potential der Anlage noch nicht ganz ausgeschöpft ist. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass es sich um eine Pilotanlage handelt, mit der noch Erfahrungen gesammelt werden sollen. Zudem weist der betreffende Straßenabschnitt ein starkes Verkehrsaufkommen mit regelmäßig überhöhten Fahrgeschwindigkeiten auf, worauf die überdurchschnittlich hohe Zahl sonstiger Verkehrsunfälle hinweist.

Annahme durch Wildtiere: Die Errichtung des Wildzauns hat bei allen im Gebiet anwesenden größeren Arten nicht zu anhaltenden Orientierungsschwierigkeiten geführt. Die Nutzung der Wechselschleusen durch Wildtiere entwickelte sich bereits mit Fertigstellung der Wildwarnanlagen. Reh, Wildschwein, Fuchs und Dachs frequentieren die Anlagen am häufigsten, daneben noch Hase und Steinmarder. Meistens wechseln die Wildtiere in den mittleren Bereichen der Schleusen. Dagegen ist das Einwechseln von Wildtieren in den beidseitig gezäunten Straßenbereich eine Ausnahme. Der Wildschutzzaun führte im mittleren Bereich aufgrund eines besseren Nahrungsangebotes zur Verlagerung einer Dachsfamilie auf die gegenüberliegende Straßenseite.

Herausforderungen: Eine fast bis zum Ende des zweijährigen Monitorings bestehende Schwierigkeit ist die teils mangelhafte Umsetzung der Planungen im Straßenumfeld sowie die anschließende Pflege dieser Flächen. Durch Gras- oder Gehölzwuchs ist die Leistung einzelner Sensoren, und damit auch des Gesamtsystems, zeitweise beeinträchtigt worden. Zu dieser Situation hat vor allem auch beigetragen, dass die von den Sensoren überwachten Flächen teils in privatem Besitz sind. Es wurde im Rahmen des begleitenden Flurneuordnungsverfahrens versäumt, diese an die Straßenfläche zu arrondieren. Aktuell (Juli 2008) konnten auf der Grundlage persönlicher Absprachen mit den verschiedenen Grundeigentümern alle durch die Anlage benötigten Flächen für die Erfassung von Wildtieren in den ursprünglich vorgesehen Planungsstand versetzt werden. Während des ersten Untersuchungsjahres entwickelte sich in einem der beiden Wechselbereiche (Breitenbronn) im Zuge der Begrünung nach den Bau- und Erdarbeiten unmittelbar neben der Straße eine Fläche mit Weißklee. Diese Fläche übte eine hohe Lockwirkung auf Rehe aus und förderte Wildunfälle, indem sich die Tiere länger am Straßenrand aufhielten, ohne die Anlage erneut auszulösen. Durch Sukzession hat sich das Problem im zweiten Jahr aber stark reduziert. In dieser Anlage ereignete sich im zweiten Jahr nach zuvor vier Rehwildunfällen nur noch ein einziger. Folgenschwer war die Entstehung einer Wildunfallserie in der Anlage 1 Aglasterhausen. Ereigneten sich die meisten Wildunfälle mit Rehen und Wildschweinen im ersten Jahr noch im Wechselbereich der Anlage 2 Breitenbronn, verschob sich das Verhältnis im zweiten Jahr deutlich zu Ungunsten der Anlage 1 Aglasterhausen (4:1, dann 1:7). Dort ereigneten sich mindestens fünf Wildunfälle mit Rehen unter vergleichbaren Umständen. Die Rehe kamen hoch flüchtend aus einem Feldgebiet direkt auf die Straße und wurden dort von den Pkws erfasst. Die schreckhafte Flucht war möglicherweise durch nächtliche Spaziergänger (teils mit Hunden) aus einem benachbarten Neubaugebiet ausgelöst worden. Durch die Zaunverlängerung an den Schenkeln und daran angepasste Sensorüberwachung konnte das Problem aber völlig reduziert werden.

Fazit: Auf der Grundlage der gemachten Erfahrungen kann der Einsatz weiterer Wildwarnanlagen generell empfohlen werden. Vor allem eignen sich diese Anlagen zur Nachrüstung am Straßenbestand, wo nicht nur der Aspekt der Verkehrssicherheit, sondern auch ökologische Funktionsbeziehungen durch mittelgroße und größere Säugetiere aufrechterhalten werden sollen. Ein zweiter Einsatzbereich besteht an neu zu bauenden Straßen oder im Straßenbestand, bei denen der Populationsschutz seltener Säuger, etwa ab der Größe einer Wildkatze,wesentlicher Schwerpunkt der Überlegungen sind und teurere Querungshilfen wie Grünbrücken nicht zu rechtfertigen sind. Durch den Einsatz von Wildwarnanlagen können Ausbreitungs- oder Wiederbesiedlungsbarrieren für diese Tiere deutlich reduziert werden. Wildunfälle sind mit diesem Funktionsprinzip jedoch nie vollständig zu vermeiden, so dass trotzdem mit Tierverlusten gerechnet werden muss. In allen Varianten können zusätzliche Kleintierdurchlässe eine ökologisch sehr sinnvolle und kostengünstige Ergänzung sein. Bei allen Vorhaben sollten die im ausführlichen Bericht gemachten Hinweise unbedingt berücksichtigt werden. Für Autobahnen/vierstreifige Bundesstraßen ist das System ungeeignet, bei dreistreifigem Ausbau hängt der Einsatz vor allem von der Trassenführung und dem täglichem Verkehrsaufkommen ab.